Stellungnahme #2

Written by Kollektiv

Bezüglich der Anschuldigungen, welche wir bereits in unserer vorangegangenen Stellungnahme angingen (http://www.radikalecker.org/de/stellungnahme-zu-den-anschuldigungen-gegen-unser-kollektiv-und-eines-unserer-mitglieder/ ), haben wir einige Neuigkeiten den internen Prozess betreffend. Im November 2017 wurden wir von einer Person außerhalb des Kollektivs kontaktiert, die angab, sexuelle Gewalt von einem unserer Mitglieder erfahren zu haben. Wie bereits zuvor dargelegt, forderte diese Person den sofortigen Ausschluss unseres Mitglieds. Allerdings arbeiten wir als ein Kollektiv, das alle Entscheidungen im Konsens trifft und jegliche Themen diskutiert, bis ebenjener Konsens erreicht ist, was oft ein langwieriger Prozess ist. Das betroffene Mitglied wurde nicht umgehend ausgeschlossen, sondern nahm temporär und freiwillig von der Beteiligung im Kollektiv Abstand.

Um sicherzustellen, dass wir mit dieser Angelegenheit bestmöglich umgehen, haben wir professionelle Mediation sowie Beratungshilfe eingeholt. Leider dauerte es länger als erwartet, eine Gruppe, die Zeit für uns aufbringen konnte, zu finden. Wir sind uns unserer Fehler in der dringlichen Behandlung dieser Angelegenheit bewusst; jedoch waren diese (auch) unserem sorgfältigen und konsensfähigen Entscheidungsprozess geschuldet. Die Beratungstreffen haben uns geholfen, eine gemeinschaftliche Entscheidung zu treffen, über welche wir Euch in den nächsten Zeilen informieren wollen.

Definitionsmacht vs. Unschuldsvermutung?
Wir unterstützen das Konzept, dass die Macht, eine Situation, wie z.B. sexuellen Missbrauch zu definieren bei der betroffenen Person/ der Person die Gewalt erfahren hat, liegen muss. Wir denken, der juristische Umgang mit von sexueller Gewalt Betroffenen ist weiterhin stark kritik- und verbesserungsbedürftig. Für uns heißt dies jedoch nicht zwangsläufig, dass alle Errungenschaften des bürgerlichen Rechtssystems, wie Unschuldsvermutung und Recht auf Verteidigung, aufgehoben werden sollten. Wir glauben, selbst einer*m ‚Beschuldigten*m‘ muss die Möglichkeit gegeben werden, angehört zu werden und sich gegebenenfalls zu verteidigen. Das bedeutet nicht, die Glaubhaftigkeit der Betroffenen in Frage zu stellen und beinhaltet keineswegs eine unangemessene Fokussierung auf eine Art ‚Beweisführung‘.

Ausschluss aus der Community
Wir glauben nicht, dass der Ausschluss von Personen aus politischen und sozialen Kontexten unbedingt immer die beste Entscheidung ist. Wir halten es für notwendig, sich damit zu befassen, wie eine Person ein verändertes Verhalten und eine soziale Reintegration erlernen kann. Wir – als politisches Kollektiv, aber gleichermaßen als Gemeinschaft, die das bestehende Herrschaftssystem kritisiert – müssen Mittel und Wege finden, mittels derer wir die individuelle Situation besprechen können UND die gleichzeitig über das aktuelle bürgerliche Recht hinausgehen.

Aus unserer Sicht erlaubt allein der Ausschluss eines Individuums keine Perspektive darauf, wie sexueller Missbrauch verhindert werden kann. Um zu erkennen, welche strukturellen Gegebenheiten sexuellen Missbrauch ermöglichen – sowohl in der Gesellschaft als auch der linken und queeren Community -, und Strategien zu finden, um dagegen vorzugehen, muss es möglich sein über andere Regelungen zu reden als Isolation und soziale Stigmatisierung.

Einige Klarstellungen

  • Wir möchten klarstellen, dass wir zu keinem Zeitpunkt private oder vertrauliche Informationen seitens der Person, die uns kontaktierte, mit unserem betreffenden Kollektivmitglied oder einer anderweitigen 3. Partei geteilt haben.

 

  • Unsere Beratung trat an die Person, die uns kontaktiert hat, heran. Zweite hat klargestellt, dass sie nicht an der Teilnahme an einer Beratung oder Mediation interessiert ist.

 

  • Als Kollektiv mit einer Mehrheit von Frauen*/Queer/Non-binary-Personen und einer schwarzen queeren Frau*, in dem ebenfalls Überlebende sexuellen Missbrauchs sind, war der Umgang mit dieser Angelegenheit ein schwieriger Prozess für uns, der viele Emotionen und traumatische Erinnerungen hervorgerufen hat.

 

  • Entgegen dahingehenden Behauptungen in sozialen Medien wurde Radikalecker von keinerlei Veranstaltungsort verbannt. Darüber hinaus ist das Kollektiv bisher kein Unternehmen und beschäftigt keine Angestellten. Wir arbeiten alle ehrenamtlich, motiviert von unseren Idealen und ohne auch nur einen Cent dafür zu kriegen – und das seit fast 4 Jahren.

Unsere Entscheidung
Wir werden niemals wissen, was genau in der persönlichen Beziehung zwischen der betroffenen Person und unserem Kollektivmitglied passiert ist. Wir erkennen die Erlebnisse der Person, die uns kontaktiert hat, an.
Nachdem wir mit unserem Kollektivmitglied – in der Überzeugung, dass die ‚beschuldigte Person‘ gehört werden soll – gesprochen und zudem entscheidende Informationen von verschiedenen anderen Quellen erhalten hatten, haben wir uns entschlossen, sie im Kollektiv zu behalten.

Darüber hinaus haben wir uns entschieden uns zum Thema sexuelle Gewalt weiterzubilden und planen als Kollektiv an einem entsprechenden Workshop teilzunehmen. Wir betrachten es als einen anhaltenden Lernprozess, der gewiss nicht nach dem Workshop vorbei sein wird. Außerdem ist es wichtig für uns daraus zu lernen, wie wir in der Zukunft effektiver und schneller mit solch komplexen Themen umgehen können. Wir wollen sicherstellen, dass wir als politische Gruppe unser Bestes tun, um die Strukturen, die zu sexueller Gewalt führen, zu erkennen.
Wir werden uns auch weiterhin für safer spaces und sexuelle Gerechtigkeit für alle einsetzen.

Wir danken allen, die uns in diesem schwierigen Hergang unterstützt haben, sowie all jenen, die Hilfe und ihre Kenntnisse angeboten haben, sowie ihre Zeit zum Diskutieren, Erklären und Zuhören.

Sollte es weitere Fragen geben, kontaktiert uns bitte. Für Dialog und konstruktive Argumentation sind wir jederzeit offen.

Radikalecker Kollektiv